Blog – Jocelyne Lopez

Zum Glück haben die Ingenieure und Techniker die Physik im Griff

Ich gebe einen Austausch aus meiner Diskussion im Forum „Bildung“ der Piratenpartei Verstoß gegen das Grundgesetz in der Vermittlung der Relativitätstheorie  wider:

 

23.04.12 – Zitat von Ignorant:

Was sind Gesetze, außer die von Menschen geschaffenen? […]

 

23.04.12 – Zitat von Jocelyne Lopez:

So ist das, Gesetze sind von Menschen geschaffen, nicht von der Natur. Und in der Wissenschaft sind keine sogenannten Naturgesetze bewiesen. Die physikalischen Gesetze, die in der Technologie angewandt werden, sind mitnichten Naturgesetze und mitnichten als solche bewiesen. Die physikalischen Gesetze werden einzig von Ingenieuren und Technikern angewandt, wobei Ingenieure und Techniker Pragmatiker sind: sie sind im Rahmen ihrer Arbeit nicht an der Bestätigung oder Widerlegung von irgendwelchen universalen Gesetzen interessiert: ihre Maschinen und Geräte haben zu funktionieren, und für sie ist das gut genug – zu Recht. Und sie funktionieren auch brillant.

Dabei haben sie keine Hemmungen verschiedene Gesetze je nach Anwendungs- und Gültigkeitsbereich anzuwenden. Ihre angewandten Gesetze beanspruchen nicht, Universalgesetze zu sein, sie sind sogenannte „Apparatengesetze“, siehe z.B. Holm Tetens Der Glaube an die Weltmaschine:

Zitate Holm Tetens:

[…] Fragen wir danach, wie es denn gelingt, das Experiment dem klassischen Erkenntnisideal einzuverleiben, sehen wir, daß dem eine Deutung zupaßkommt, die das Experimentieren als ein nicht veränderndes Beobachten und die dabei verwendeten Apparate als bloße Verlängerungen der natürlichen menschlichen Sinnesorgane zu Naturobjekten verfälscht. Ich kann hier nicht darauf eingehen, wie ein Konglomerat aus klassisch-griechischer Erkenntnismetaphysik und neuzeitlichem Empirismus tatsächlich eine solche Deutung des Experiments zustande bringt. Ich will mich auf ein suggestives Bild beschränken: Alle experimentellen Handlungen unter Zuhilfenahme von Apparaten werden in ihrem Verhältnis zum „eigentlichen Erkenntnisakt” damit verglichen, wie sich das Aufsetzen einer Brille zum Lesen in einem Buch verhält. Um im „Buch der Natur” zu lesen, setzen wir uns eben eine mathematisierte Apparatebrille auf. Und, bleiben wir einmal im Bild, solange wir forschen, blättern wir nur immer wieder eine neue Seite auf. Erst wenn wir Technik machen und industriell produzieren, kritzeln wir eigene Veränderungen in das Buch und geben es immer unleserlicher an die nächste Generation weiter.

Aber stimmt das überhaupt, daß das Funktionieren unserer technischen Artefakte methodisch vorgängig die Kenntnis der „Gesetzmäßigkeiten in der Natur” voraussetzt? Zur Antwort möchte ich eine These formulieren und in freiem Anschluß an ähnliche Überlegungen DingIers begründen:

Aus methodischen Gründen kann die Physik einer Orientierung auf Apparate gar nicht entraten. Die mathematisierten Gesetzesaussagen in der Physik werden methodisch primär am Studium von Apparaten gewonnen und gelten uneingeschränkt auch nur von ihnen. Das an Apparaten gewonnene Wissen wird erst danach dazu herangezogen, hypothetisch-modellhaft Naturerscheinungen außerhalb der Laboratorien zu erklären und vorherzusagen. […]

 

Ekkehard Friebe, der selbst Ingenieur ist, hat auch in seiner Homepage einen interessanten und einleuchtenden kleinen Artikel über die Gültigkeit des in der Technologie angewandten OHM-schen Gesetzes geschrieben: Gibt es eine experimentelle Bestätigung des „OHM-schen Gesetzes“?

Zitat Ekkehard Friebe:

[…] Wann gilt dann das OHM-sche Gesetz überhaupt noch?

Die Lösung des Problems liegt darin: Das OHM-sche Gesetz ist überhaupt keine physikalische Gesetzmäßigkeit, die aus irgendwelchen Einflüssen der Natur folgt, sondern eine Definitionsgleichung für einen idealisierten Widerstandsbegriff. […]

Gesetze sind in der Tat von Menschen geschaffen, ursprünglich aus pragmatischen Gründen, sie existieren als Definition für einen ganz kleinen Ausschnitt der Natur, den man gerade als Orientierung für eine praktische Anwendung braucht.

Keine der sogenannten Naturgesetze sind experimentell bewiesen, die Natur ist viel komplexerer als nur einen kleinen Aufschnitt eines Phänomens für die Menschen auf einem Silbertablett anzubieten. Wenn es so wäre, würde Maschinen und Geräte unter allen Bedingungen immer störungsfrei arbeiten und die Ingenieure hätte ein Traumjob: Sie bräuchten nicht Anwendungs- und Gültigkeitsbereich für ihre Maschinen zu erforschen und anzugeben. So ist das aber nicht: sie haben kein Traumjob, Ingenieure und Techniker werden sofort von der Natur bestraft, wenn sie einen Fehler machen, anders als die Theoretiker…

Siehe auch zum Beispiel einen Artikel vom 20.01.2012 in Spektrum der Wissenschaft Die Physik – ein baufälliger Turm von Babel