Blog – Jocelyne Lopez

Urknalltheorie: Kann die Vouivre daran glauben?

Ich verweise auf einen Austausch mit einem Teilnehmer, der im MAHAG-Forum die umstrittene  Urknalltheorie der modernen Physik analysiert – und selbst eine physikalische Theorie ohne Urknall aufgestellt hat:

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03.12.2013 – Zitat von McDaniel-77:

[…] Warum suchen wir Menschen in der Kosmologie einen Anfang mit Tendenzen Richtung Ende? Weil Menschen geboren werden und sterben. Ein Kommen und Gehen. […]

 

03.12.213 – Zitat von Jocelyne Lopez:

Das stimmt, es fällt uns schwer, uns die Unendlichkeit vorzustellen, weil wir selbst endlich sind.

Deshalb suchen wir intuitiv immer nach einem Anfang und einem Ende für alles, was wir erleben oder empfinden. Die Unendlichkeit können wir nicht aus natürlicher Weise konkret erleben und empfinden, wie wir alle anderen Naturerscheinungen aus natürlicher Weise konkret erleben und empfinden können, da fehlen uns dafür die entsprechenden Sinne bzw. die entsprechenden Hirnwindungen. Sich als endlicher Mensch die Unendlichkeit vorzustellen (was jeder von uns wohl schon als Kind versucht hat) ist eine rein abstrakte Leistung unseres Geistes und sie ist zwangsläufig sehr primitiv, weil unser Gehirn eben nicht dafür gebaut ist, diese Abstraktion zu produzieren. Deshalb produzieren wir lieber in allen Kulturen und seit jeher Genesis-Geschichten, von religiöser Art, von weltanschaulicher Art und auch jetzt mit dem Urknall von „wissenschaftlicher“ Art.

Wie würden wir die Welt und die Naturerscheinungen erleben und empfinden, wenn wir nicht endlich wären, also wenn wir nicht das Bestreben hätten, zeitliche Abschnitte zu bilden, einen Anfang und ein Ende für alle zu suchen? Das kann eigentlich keiner sagen. Man könnte vielleicht sagen, dass wir dann zum Beispiel die Zeitdauer von Ereignissen nie messen würden, weil sie uns nicht interessieren würde und für uns die Zeit unbrauchbar und bedeutungslos wäre. Wie ist ein Dasein, wo die Zeit keine Rolle spielt, wo sie doch in unserem endlichen Dasein die grundlegende Rolle spielt?

Ich habe mich als Jugendliche beim Lesen des Romans „La Vouivre“ von Marcel Aymé mal diese Fragen gestellt, der Anlaß zu solchen Gedanken liefert. Der Roman erzählt einen Abschnitt im Leben der „Vouivre“: Nach einer Legende aus der Burgund ist „die Vouivre“ ein unsterbliches Mädchen, das wild im Wald lebt und ein Diadem mit einem großen Rubin trägt. Es wird von Schlangen begleitet und geschützt, die sofort angreifen, wenn jemand sich dem Mädchen nähert. Eines Tages sieht ein junger Bauer die Vouivre beim Baden und nähert sich. Die Schlangen erscheinen sofort, aber das Mädchen pfeift sie zurück. Die beiden knüpfen dann einen Kontakt, der junge Mann verliebt sich an die Vouivre. Verliebt sich die Vouivre an den jungen Mann? Auf jeden Fall scheint seine Gesellschaft der Vouivre zu gefallen, sie erlaubt ihm, sie wieder zu besuchen und sie verabreden sich öfter. Durch irgendwelche Umstände kommt eines Tages der junge Mann ohne Verabredung, die Vouivre ist am Baden und sieht ihn nicht rechtszeitig, um die Schlangen zurückzupfeifen. Die Schlangen beißen den jungen Mann, der in den Armen der Vouivre stirbt.

Was hat die Vouivre empfunden? Das ganze Leben des jungen Mannes und ihre ganze gemeinsame zeitliche Zusammensein war für sie nicht einmal so lang wie der Bruchteil einer Sekunde. Hat sein Tod einen Schmerz ausgelöst, der nicht einmal so stark wie ein Nadelstich war? Oder womöglich gar nichts, gar nichts Wahrnehmbares, aus Mangel an Dauer?

Immer wenn ich nach Südfrankreich fahre, mache ich möglichst Halt an der Autobahnraststätte in der Burgund, die „La Vouivre“ heißt. Dort gibt es auch einen kleinen See. Badet sie immer noch da? Ich habe zwar immer geguckt, aber gesehen habe ich sie leider nie. ;- )

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Bild: La cinémathèque française (aus einer Verfilmung des Romans von Marcel Aymé)

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Kann die Vouivre Gefühle empfinden? Und kann sie an die Urknalltheorie glauben?

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