8. August 2012
Primatenversuche in Bochum: Austausch vom 27.07./03.08.12 mit der genehmigenden Behörde
Ich verweise auf unsere Anfrage vom 15.05.12 an die zuständige und verantwortliche Behörde für die Genehmigung der Primatenversuche in der Universität Bochum und gebe nachstehend den E-Mail-Austausch vom 27.07./03.08.12 wieder:
27.07.12 – Von Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW, Recklinghausen – Tierschutzbeauftragter der Ruhr-Universität Bochum
Betr.: Tierschutz
Durchführung von Primatenversuche in Bochum an der der Ruhr-Universität
Ihre E –Mail vom 03. Jul i 2012
Datum: 27.07.12
Sehr geehrte Frau Urban,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 03. Juli 2012.
Sie ersuchen darin, Auskunft über die Primatenversuche an der Ruhr-Universität Bochum zu erhalten.
Nachfolgend beantworte ich die von Ihnen gestellten Fragen.
1. Aus welchem „vernünftigen Grund“ nach Tierschutzgesetz 1 erteilt Ihre Behörde die Genehmigung für die Primatenversuche in Bochum?
Tierversuche, die einem der in § 7 Tierschutzgesetz (TierSchG) genannten Zweck dienen und den Bestimmungen der §§ 8-9a entsprechend durchgeführt werden, erfüllen den „vernünftigen Grund“ im Sinne des § 1 TierSchG.
2. Für welche Forschungszwecke werden Primatenversuche in Bochum durchgeführt:
a) In der Grundlagenforschung
b) In der medizinischen Forschung
c) In der pharmazeutischen Forschung
d) In der Toxikologie
3. Seit wann werden Primatenversuche in Bochum durchgeführt?
Hierüber liegen meiner Behörde keine Angaben vor. lm Übrigen verweise ich auf die Tatsache, dass es nach dem IFG NRW keine behördliche Pflicht begründet, Informationen für Antragsteller zu beschaffen, die der Behörde zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht vorlagen.
4. Zu welchen Erfolgen im Dienste der Allgemeinheit haben nach Kenntnis lhrer Behörde die in Bochum durchgeführten Versuche bei den jeweiligen Forschungszwecken bis jetzt geführt?
Die Ergebnisse der Forschungsarbeiten in Bochum wurden in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht und werden der Öffentlichkeit über die Pressestelle der RUB zugänglich gemacht.
5. Kann Ihre Behörde den Nachweis herbeiführend, dass sie sich vor der Erteilung der Genehmigungen darüber informiert hat
i. ob solche oder ähnliche Versuche schon an anderen Forschungsorten in der Bundesrepublik durchgeführt wurden oder durchgeführt werden?
ii. ob solche oder ähnliche Versuche Erfolgen im Dienste der Allgemeinheit in anderen Forschungsorten geführt haben?
iii. Welche Informationsquellen bzw. Datenbanken über etwaige ähnliche Versuche für ähnliche Forschungszwecke an anderen Forschungsorten werden von Ihrer Behörde verwendet?
Der Antragsteller hat mit dem Antrag zur Genehmigung des Versuchsvorhabens substantiiert nachzuweisen, dass das Vorhaben unerlässlich im Sinne des Gesetzes ist. Der jeweilige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist zugrunde zu legen.
Genehmigungspflichtige Tierversuchsvorhaben unterliegend dem Votum der sogenannten Ethikkommissionen gemäß § 15 TierSchG. Diese Kommissionen beraten über alle Vorhaben; die Kommissionen setzen sich dabei aus Wissenschaftlern und Vertretern von Tierschutzorganisationen zusammen.
Die Voten dienen der Genehmigungsbehörde zur Entscheidung über das Vorhaben.
Der Nachweis und die Recherche über ggf. äquivalente Tierversuchsvorhaben erfolgt über einschlägige Literaturdatenprogramme.
7. Wie beurteilt Ihre Behörde die Information, dass die für die Genehmigung von Tierversuchen in Berlin, München und Bremen jeweils zuständigen Behörden die Genehmigungen für Primatenversuchen nicht mehr erteilt haben?
Die Weigerung der zuständigen Behörden in Bremen, die Versuchsgenehmigung zu verlängern, war ausschließlich politisch motiviert. Der Antragsteller klagte vor dem Verwaltungsgericht Bremen auf die erneute Genehmigung zur Durchführung von Nicht-Humanen Primaten. Daraufhin wurde vor dem Verwaltungsgericht Bremen mit Urteil vom 28.05.2010 (Az.5 K 1274109) der Klage zur weiteren Genehmigung der in Rede stehenden Tierversuche stattgegeben.
Das Gericht macht in seiner Entscheidung zunächst ganz allgemein deutlich, dass bei einem Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen diese auch erteilt werden müsse. Ein Ermessen der zuständigen Behörde bestehen nicht, da andernfalls die Forschungsfreiheit als grundgesetzlich verankertes Recht, zur behördlichen Disposition gestellt würde.
Das VG machte weiterhin deutlich, dass der Rückgriff auf einen vermeintlichen gesellschaftlichen Wertewandel bei einer streng rechtlich vorzunehmenden Prüfung sachwidrig sei. Es sei vielmehr die Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der Verwaltung, einen möglicherweise verstellbaren Wertewandel aufzugreifen und gegebenenfalls durch Änderungen des Gesetzes Rechnung zu tragen. Auch betont das Gericht, dass nach dem Tierschutzgesetz der abstrakte Nutzen der Grundlagenforschung gleichberechtigt neben dem konkreten Nutzen der angewandten Forschung stehe.
8. Wie beurteilt Ihre Behörde die Studien und Berichte aus der Fachwelt über die Sinnlosigkeit und die Grausamkeit der Primatenversuche?
„Wären die Primatenversuche grausam oder sinnlos, würden sie nach dem Tierschutzgesetz auch nicht genehmigungsfähig sein. Die Behauptung, die an der RUB durchgeführten Versuche seien grausam und sinnlos unterstellt der am Genehmigungsverfahren beteiligten Personen, dem Tierschutzbeauftragten der RUB, den Mitgliedern der Ethikkommission nach S 15 TierSchG und meiner Behörde, ihre gesetzlichen Pflichten nicht gewissenhaft zu erledigen. Dies ist natürlich nicht der Fall. Die Ansichten des Vereins ,,Ärzte gegen Tierversuche .V.“ über die Primatenversuche in Bochum besitzen in erster Linie nicht den Wert von wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen. Die Ergebnisse von Experimenten in der Grundlagenforschung lassen sich naturgemäß meist nicht direkt auf praktische Anwendungen übertragen. Dieses Ziel kann die Grundlagenforschung von ihrem Wesen her auch nicht erfüllen, weil sie zunächst den Anknüpfungspunkt für innovative Entwicklungen in der Medizin schafft. Erst auf dieser Basis kann überhaupt eine verantwortbare und zielgerichtete Anwendungsforschung erfolgen. In der Regel können weder die durchführenden Wissenschaftler selbst noch externe Gutachter vorhersagen, wann und wie Experimantalergebnisse für die Allgemeinheit zu konkretem Nutzen führen wird.
Des Weiteren verweise ich in diesem Ausführungen zur Frage 7.
Mit freundliche Grüßen
Im Auftrag
(Dr. Langewische)
03.08.12 – An Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW, Recklinghausen
Betreff: Tierschutz
Durchführung von Primatenversuchen in Bochum (Ruhr-Universität)
Meine Anfrage vom 15.05.12
Meine 1. Erinnerung vom 06.06.12
Meine 2. Erinnerung vom 03.07.12
Ihre Antwort vom 27.07.12 (Sachbearbeitung: Dr. Marita Langewische)
Hier: Widerspruch und Beschwerde
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke für Ihre Antwort vom 27.07.12 in der o.g. Angelegenheit. Leider kann ich Ihre Antwort nicht hinnehmen und erhebe hiermit Widerspruch und Beschwerde: keine der von mir gestellten Fragen wurde im Hinblick auf mein erklärtes Anliegen, Transparenz über die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen bei der Durchführung von Tierversuchen in der Universität Bochum herbeizuführen, ausreichend beantwortet bzw. es wurde auf meine Fragen ausweichend eingegangen.
Zu 1.
Die bloße Beteuerung, dass die von Ihrer Behörde genehmigten Tierversuche die Aufforderungen des §1 TierSchG erfüllen, erlaubt einem Bürger nicht, diese Aussage zu beurteilen und ein etwaiger Verdacht auf das Nicht-Vorhandensein des vom Gesetz geforderten „vernünftigen Grundes“ auszuräumen.
Zu 3.
Dass Ihrer zuständigen und verantwortlichen Behörde keine Angaben darüber vorliegen, seit wann Primatenversuche im Bochum genehmigt und durchgeführt werden, ist unglaubwürdig.
Zu 4.
Sie verweisen allgemein und ohne weitere Angaben auf „veröffentliche wissenschaftliche Publikationen“ der Pressestelle der Universität Bochum zum Nachweis der Erfolge im Dienste der Allgemeinheit, die bis jetzt durch die von Ihrer Behörde genehmigten Tierversuche geführt haben.
Auch diese Antwort wirkt befremdlich: nicht die Pressestelle der Universität Bochum ist die zuständige und verantwortliche Behörde für die Genehmigung der Versuche und für die Beurteilung der Erfolgsergebnisse, sondern es obliegt Ihrer zuständigen und verantwortlichen Behörde, die Ergebnisse der durchgeführten Versuche zu prüfen und zu bewerten, allein um Ihrer Verantwortung nachgehen zu können, bei anhaltender Erfolglosigkeit die Fortführung dieser Versuche bzw. die Genehmigung ähnlichen Versuchen im Sinne des Gesetzes zu unterbinden.
Zu 5.
Dass der Antragsteller mit dem Antrag zur Genehmigung des Versuchsvorhabens das konkret angestrebte Nutzen substantiiert darzulegen hat, war mir schon bekannt. Es obliegt jedoch nicht den Forschern, sondern der genehmigenden Behörde zu prüfen und nachzuweisen, dass das Versuchsvorhaben unerlässlich im Sinne des Gesetzes ist. Ihre Ausführungen zu 5 beantworten in keiner Weise konkret, wie Ihre Behörde diese Prüfung vornimmt und welche Informationsquellen verwendet werden, um zum Beispiel die Durchführung von ähnlichen Versuchen an mehreren Forschungsstellen oder die Wiederholung von erfolglosen Versuchen zu unterbinden, sowie den Einsatz von tierversuchsfreien Alternativforschungsmethoden zu fördern.
Zu 7.
Die Auffassung Ihrer zuständigen und verantwortlichen Behörde, dass die Weigerung der zuständigen Behörde in Bremen, die Versuchsgenehmigungen zu verlängern „ausschließlich politisch motiviert war“ ist wiederum äußert befremdlich und aus meiner Sicht mehr als bedenklich.
Die Einfügung 2002 des Art. 20 a im Grundgesetz und die Verankerung des Tierschutzes als Staatsziel mit Verfassungsrang sind das Ergebnis des Strebens der Legislative als Volksvertretung aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf, dessen Leben und Wohlbefinden auf der Ebene der Bundesrepublik Deutschland zu schützen. Sowohl die einstimmige Entscheidung des Bremer Senats aus diesen Versuchen im Land Bremen auszusteigen, als auch die Entscheidung der Judikative, solche Versuche zu untersagen oder die Genehmigungen auslaufen zu lassen, sind Umsetzungen der neuen Verfassungsbestimmungen. Sie als „ausschließlich politisch motiviert“ abzutun ist aus meiner Sicht eine sehr bedenkliche Auffassung Ihrer Behörde. Auch in München und Berlin haben die Behörden ohne Einschaltung der Legislative oder der Judikative die neuen Bestimmungen im Sinne der Verfassung umgesetzt, indem sie solche Versuche untersagten.
Zu 8.
Auch Ihre Unterstellung wirkt äußerst befremdlich, dass „die Ansichten des Vereins ,,Arzte gegen Tierversuche e .V.“ über die Primatenversuche in Bochum nicht den Wert von wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen“ besitzen würden: diese Organisation äußert nicht „Ansichten“, sondern liefert seit mehr als 30 Jahren sorgfältig dokumentierte wissenschaftliche Informationen, Analysen und Studien aus der Fachwelt auf der internationalen Ebene, die nicht zuletzt dazu beigetragen haben, dass die Legislative als Volksvertretung 2002 das Einfügen des Art. 20a im Grundgesetz und die Verankerung des Tierschutzes in der Verfassung als Staatsziel sowohl aus wissenschaftlichen als auch aus ethischen Beweggründen vorgenommen hat.
Zusammenfassend empfinde ich Ihre Antwort auf meine Anfrage über diese wichtigen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Vorgänge als unzureichend, ausweichend und mangelhaft begründet und fühle mich in meinen Rechten als Bürgerin verletzt.
Weiterhin besteht für mich ein Verdacht auf Verstoß gegen das Grundgesetz Art. 2o a und gegen § 1 TierSchG bei den von Ihrer Behörde genehmigten Tierversuchen. Ich berufe mich auf § 258 StGB und bitte Sie, mir folgende Informationen zukommen zu lassen:
Auflistung der Versuche, die aktuell von Ihrer Behörde genehmigt sind (bzw. wofür ein Genehmigungsantrag aktuell vorliegt), mit folgenden Angaben:
1) Datum der Erteilung und des Auslaufens der Genehmigung
2) Anzahl und Art der eingesetzten Tiere
3) Beschreibung des Versuchs
4) Forschungszweck und angestrebtes Nutzen
5) Bestätigung, dass gemäß Ihren Recherchen ähnliche Versuche nicht an anderen Forschungsstellen durchgeführt werden oder durchgeführt wurden.
6) Bestätigung, dass gemäß Ihren Recherchen keine tierversuchsfreien Alternativforschungsmethoden zur Verfügung stehen (Zentralstelle ZEBET)
Ich bedanke mich im Voraus für eine Antwort bis zum 27.08.2012 und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Gisela Urban
1. Vorsitzende Tierfreunde ohne Grenzen e.V.
Mitzeichner:
Jocelyne Lopez
Gabriele Menzel
Dagmar Seliger
Claudia Sunitsch
Roswitha Taenzler
Aktionsgemeinschaft gegen Tierversuche FFM.INT
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Siehe in diesem Blog der komplette Stand der Auseinandersetzung mit der genehmigenden Behörde, den wir fortlaufen aktualisieren werden:
Primatenversuche in Bochum: Auseinandersetzung mit Behörden
[…] die Genehmigung der Primatenversuche in der Universität Bochum sowie auf den E-Mail-Austausch vom 27.07./03.08.12 mit der genehmigenden Behörde und gebe nachstehend den Austausch vom 08./10.08.2012 […]
[…] Dass die Behörde LANUV NRW es wusste, jedoch sowohl die Bestimmungen des TierSchG als auch die Entscheidung anderer genehmigenden Behörden ignoriert hat, geht aus ihrer äußerst befremdlichen Antwort vom 03.08.2012 auf unsere Bürgeranfrage hervor, wo wir die Behörde gefragt haben, wie sie die Entscheidung der genehmigenden Behörde in Bremen bewertet, die Genehmigung für die gleiche Versuche des Andreas Kreiter an der Universität Bremen zu verweigern, siehe Primatenversuche in Bochum: Austausch vom 27.07./03.08.12 mit der genehmigenden Behörde […]
[…] LANUV NRW antwortete uns am 27.07.2012, dass sie es nicht wußte und nach dem Informationsfreiheitsgesetz auch nicht zu wissen hatte, Punkt. Siehe hier. […]