16. Juni 2011
Dr. Markus Pössel: Was ist eine gute Maßeinheit?
Ich gebe Austausche zwischen Dr. Markus Pössel, Mitarbeiter vom Albert Einstein Insitut und mir aus seinem Blog Was ist eine gute Maßeinheit? (als Nebenblog zu seiner Einführung in der Relativitätstheorie bei „Spektrum der Wissenschaft“ Einstein verstehen: Ein Blogexperiment, Teil I wieder:
15.06.11 – Zitat von Dr. Markus Pössel:
Ich glaube, da liegt noch (mindestens) ein Missverständnis vor. Im Gegensatz zur Orientierung des ursprünglichen Meters am Erdumfang sind die neuen Definitionen tatsächlich die Festlegung der Maßeinheit.
Sprich: Es ist nicht so, dass man 1960 bzw. 1983 nach einer bestimmten Vorschrift aus atomphysikalischen Messungen einen neuen Urmeter als neues erstes Glied der Kalibrationskette geschaffen hätte, und dass dieser neue Urmeter von dort an maßgeblich war (so war es beim Erdumfang bei der französischen Revolution gewesen). Sondern die atomphysikalischen Messungen ersetzen den Urmeter. Niemand braucht, um die Maßeinheit „Meter“ zu verwenden, Zugang zu einem Urmeter. Es gibt kein metrologisch maßgebliches Objekt „Urmeter“ mehr. Jedes gut ausgerüstete Labor kann die entsprechenden atomphysikalischen Messungen selbst ausführen, und die daraus rekonstruierte Maßeinheit „Meter“ als Grundlage für seine Längenmessungen verwenden.
Einige Ihrer Fragen passen allerdings nicht recht in den obigen Blogbeitrag – wahrscheinlich sollte ich direkt zum Meter noch einen eigenen Beitrag machen (wie ich es gerade für die Sekunde getan habe), und die verschiedenen Arten der Längenmessung sind, unabhängig von der zugrundeliegenden Einheit, sicher auch ein Thema für sich.
15.06.11 – Zitat von Jocelyne Lopez:
Sorry, aber bei mir lag auf jeden Fall dieses Missverständnis nicht vor: Ich habe ja schon am Anfang selbst hervorgehoben, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Maßeinheit Meter eine Messung als Maßeinheit gewählt wurde, anstatt einem materiellen Urmaßstab, was zu vielen Verwirrungen und Missverständnissen geführt hat, siehe zum Beispiel hier.
Ich habe auch hervorgehoben, dass die Wahl einer Messung als Maßeinheit und als Maßstab aus meiner Sicht gar keine gute Idee war und habe zum Beispiel auch Helmut Hille zitiert (ich finde aber jetzt nicht mehr wo, man findet sich nicht mehr so ganz zurecht in diesen vielen zersplitterten Blogs):
Zitate von Helmut Hille aus seiner Arbeit Messen als Erkenntnisakt:
Maßstäbe werden nicht gemessen sondern gesetzt.
Wie ich zeigen werde, haben wir heute eine Situation, in der sich niemand daran stößt, wenn zwischen dem Maß als Meßmittel und dem Gegenstand des Messens nicht klar unterschieden wird und wenn in Meßeuphorie geglaubt wird, auch Maße messen zu können.
[…]
Maßstäbe und ihre Einheiten sind keine Frage der Wahrheit sondern der Gültigkeit. Sie werden nicht durch Tatsachen sondern durch Normen bestimmt.
[…]
Und mit was will man überhaupt messen, wenn die Maßeinheiten selbst erst gemessen werden müßten???
Ja, mit was wollen Sie zum Beispiel die Strecke bei einer Messung der Licht-geschwindigkeit oder mit der Lichtgeschwindigkeit messen, die ausgerechnet die Länge des Meters als Meßergebnis bestimmt? Perfekter Zirkelschluß.
Und wozu braucht man eine Definition für eine Maßeinheit? Ob der Meter das 1/40 Millionsten des Erdumfanges darstellen sollte, oder das 1/25 Millionsten des Mondumfanges oder aber die Länge von einem in China umgekippten Sack Reis, ist es völlig egal: Ein Meter ist die Länge eines per Konvention ausgewählten Gegenstandes, das wir als Urmeter erklären, Punkt, fertig, aus.
Auch die Messung der Lichtgeschwindigkeit als Maßeinheit ist keine „Definition“, sie ist eine Entscheidung, sie ist eine Auswahl, genauso wie die Auswahl eines Gegenstandes als Urmaßstab: Man hat 1983 entschieden, dass ein Meter die Strecke ist, die das Licht im Vakuum in einer Zeit von 1/299.792.458 Sekunde zurücklegt. Einzig dieses Meßergebnis, und kein anderes, ist die Länge des Meters. Das Ergebnis dieser Messung (es war eigentlich ein gemitteltes Ergebnis aus mehreren Messungen) ist der Meter, und keine andere Messung der Lichtgeschwindigkeit oder mit der Licht-geschwindigkeit, und kein anderes Ergebnis.
Und nein, das war und bleibt aus meiner Sicht keine gute Idee für die Wissenschaft 1983 das Ergebnis von gemittelten Messungen der Lichtgeschwindigkeit als Maßeinheit zu erklären, also die Maßeinheit gemessen zu haben: Eine Messung ist zwangsläufig mit Fehlern behaftet, das kann man nicht verhindern, vor allem eine so empfindliche und störanfällige Messung wie die Messung der Lichtgeschwindigkeit, die sich auch mit modernen Instrumenten am Rande der Meßbarkeit befindet – das können Sie ruhig für die 10-Klässler im Blog-Text erklären. Die Reproduzierbarkeit dieses einen ausgewählten Meßergebnisses ist von daher so gut wie nicht gewährleistet, sondern es ist meiner Meinung nach im Gegenteil 100%ig davon auszugehen, dass alle Länder eine andere Länge für den Meter bei der Messung ihrer Prototypen mit dem Licht bestimmen, zumal sie nicht mehr geeicht werden. Sie haben mich nicht überzeugt, dass es nicht der Fall sein kann. Das spielt zwar gar keine Rolle in der Praxis, weil die Variationen sowieso nur rein mathematisch als Dezimalstellen sich auswirken, die in der Praxis nicht realisierbar sind, aber das war keine gute Idee für die theoretische Physik und für die Interpretation der Experimente mit der Lichtgeschwindigkeit (Mathematismus in der theoretischen Physik).
Zitat Dr. Markus Pössel: “Einige Ihrer Fragen passen allerdings nicht recht in den obigen Blogbeitrag – wahrscheinlich sollte ich direkt zum Meter noch einen eigenen Beitrag machen (wie ich es gerade für die Sekunde getan habe), und die verschiedenen Arten der Längenmessung sind, unabhängig von der zugrundeliegenden Einheit, sicher auch ein Thema für sich.“
Wann dürfen wir über die Spezielle Relativitätstheorie sprechen?
15.06.11 – Zitat Dr. Markus Pössel:
Kurios. Erst führen Sie lang und breit aus, dass Sie dem genannten Missverständnis nicht unterliegen, und dann kommt ein Satz wie „Ein Meter ist die Länge eines per Konvention ausgewählten Gegenstandes, das wir als Urmeter erklären, Punkt, fertig, aus.“ – nein, das ist der Meter eben gerade nicht mehr. Exakt darin besteht das Missverständnis, das ich meine. Es gibt seit 1960 keinen ausgewählten Gegenstand mehr. Nur noch eine Vorschrift, wie jedes entsprechend ausgerüstete Labor die Länge der Maßeinheit aus bestimmten atomphysikalischen Experimenten rekonstruieren kann. (Was das für Vorteile hat, wird ja im obigen Blogbeitrag ausführlich beschrieben.)
Dass Sie sich zum einen eifrig beschweren, sobald ich mal eine Ihrer Fragen zu den Maßeinheiten nicht gleich beantworte, und mir jetzt umgekehrt Vorwürfe machen, weil ich signalisiert habe, die zahlreichen Fragen in Ihrem letzten Kommentar zu beantworten und sich damit der Übergang zur Speziellen Relativitätstheorie verzögert, ist übrigens, zurückhaltend ausgedrückt, eine Frechheit. Aber es passt natürlich ins Schema; nur ja keine Möglichkeit für einen persönlichen Anwurf auslassen.
16.06.11 – Zitat von Jocelyne Lopez:
Das Missverständnis haben Sie selbst in Ihrem Blog-Text eingeführt und gepflegt, indem Sie sich über die Reproduzierbarkeit des materiellen Urmaßstabes im Blog-Teil I ausgelassen, sogar mit Bild des Urmaßstabes, und davon in der Gegenwart gesprochen haben – dafür aber kein Wort über die Reproduzierbarkeit des Maßstabes „Messung mit der Lichtgeschwindigkeit“ verloren haben:
02.12.2010 – Zitat Dr. Markus Pössel:
Urtyp eines Längenmaßes ist ein Maßstab, also ein Festkörper mit gerader Kante, darauf zwei Markierungen, die Nullmarke und die Einsmarke, die unsere Längeneinheit definieren. Alle anderen Abstände und Längen wollen wir als Vielfache oder mit Hilfe von Bruchteilen des Abstands dieser beiden Marken angeben. Wenn wir in diesem Zusammenhang davon reden, der Abstand zweier Punkte habe den Wert 2, ist damit gemeint, dass die Verbindungsstrecke der Punkte gerade doppelt so lang ist wie unsere Längeneinheit. Der so gemessene Abstand soll, so unsere Zuordnung, dem euklidischen Abstand entsprechen.
Streben wir eine besonders hohe Genauigkeit an, müssen wir sicherstellen, dass sich unser Maßstab so wenig wie möglich verformt. Beim wohl bekanntesten Längenmaß, dem in Paris aufbewahrten Urmeter, und bei seinen Kopien, ist das durch einen besonders stabilen Querschnitt sichergestellt; hier eine entsprechende Ansicht der Urmeter-Kopie, die jetzt im deutschen Museum aufbewahrt wird (Bild).
Außerdem müssen wir berücksichtigen, dass sich Festkörper je nach Temperatur ein wenig ausdehnen oder zusammenziehen können; wir können unseren Maßstab dazu aus einem Material herstellen, dessen Länge sich mit wechselnder Temperatur so gut wie nicht verändert („Invar“), oder unsere Konstruktionen und Messungen sämtlich bei einer konstanten Temperatur durchführen, oder beides.
Kurios. Wie sollen denn 10-Klässler daraus erkennen, dass das alles nicht mehr gilt? Woher sollen 10-Klässler wissen, wie es mit der Reproduzierbarkeit der Länge des Meters mit der Lichtgeschwindigkeit steht und welche Nachteile bei der Reproduzier-barkeit bestehen? Darüber haben Sie kein Wort in Ihrem Blog-Text verloren, das habe ich Ihnen nur mit Mühe und Not im Diskussionsteil aus der Nase ziehen müssen (zunächst seitenlang übrigens bei Ihrer großzügigen Duldung von persönlichen Angriffen gegen mich).
Zitat von Dr. Markus Pössel: „Dass Sie sich zum einen eifrig beschweren, sobald ich mal eine Ihrer Fragen zu den Maßeinheiten nicht gleich beantworte, und mir jetzt umgekehrt Vorwürfe machen, weil ich signalisiert habe, die zahlreichen Fragen in Ihrem letzten Kommentar zu beantworten und sich damit der Übergang zur Speziellen Relativitätstheorie verzögert, ist übrigens, zurückhaltend ausgedrückt, eine Frechheit. Aber es passt natürlich ins Schema; nur ja keine Möglichkeit für einen persönlichen Anwurf auslassen„.
Dass Sie trotz eindeutigen und zahlreichen Anzeichen der Leser Ihrer Einführung „Einstein verstehen“ seit dem 02.12.2010, dass ein großes Gesprächsbedarf über die Spezielle Relativitätstheorie besteht und dass man auf das Thema übergehen sollte, langatmig und scheinbar endlos das Thema immer wieder auf später verlagern, ist aus meiner Sicht zurückhaltend ausgedrückt eine Frechheit. Die Frustration der Leser und engagierten Teilnehmer Ihrer Einführung bei Ihrem Gebot „nicht vorgreifen“ könnten Sie ruhig verstehen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass 10-Klässler so viel Geduld und Lernwilligkeit mitbringen, eine so strukturierte Einführung in „Einstein verstehen“ zu verfolgen – diese Kritik sollten Sie als Aufklärer verkraften können und nicht als „persönlichen Anwurf“ einsehen.
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Siehe auch mit der Möglichkeit von Kommentaren: Das Messen zu Mathematismus degradieren?