Blog – Jocelyne Lopez

Die Verantwortung der Bundestagsabgeordneten

Ich komme auf Aussagen aus dem Kapitel 9 der Forschungsgruppe G.O. Mueller Das Gedankenexperiment zurück: 

Mit der Verantwortung der Verantwortlichen hat es eine besondere Bewandtnis: das Gehalt schleppen sie immer weg, die Verantwortung lassen sie gern liegen. Sie haben sie jedenfalls nie bei sich, wenn es darauf ankommt. 

Das Projekt hat sich deshalb vorgenommen, in einem Experiment zur Relativitätskatastrophe diese populäre Erfahrung an den Einzelnen zu testen. Da Verantwortung ein persönlicher Anspruch ist, kann er auch nur individuell getestet werden.

Testen wir auch die Verantwortung an den einzelnen 614 Bundestagsabgeordneten, die 2005 alle persönlich eine Anfrage der Forschungsgruppe G.O. Mueller  (mit kompletter Dokumentation) erhalten haben, sowie 2006 alle eine Rückfrage von mir per E-Mail:

Bundestagsabgeordneten müssen sich nicht mit der Relativitätstheorie auskennen und weder G.O. Mueller noch ich haben bei unseren persönlichen Ansprachen an je 614 Bundestagsabgeordneten erwartet, dass sie sich fachlich im Meinungsstreit über die Kritik der Relativitätstheorie äußern. Man kann dagegen sehr wohl von Bundestags-abgeordneten erwarten, dass sie sich mit dem Grundgesetz auskennen, zum Beispiel mit dem Art. 5 über die Wissenschaftsfreiheit und mit dem Art. 1 über die Würde des Menschen bzw. dass sie ein Gefühl für eine demokratische Gesellschaftsordnung und für die Garantie der Grundrechte von Bürgern haben. Man kann auch erwarten, dass sie über geeignete Instrumente verfügen, um ihre Funktion als gewählte Vertreter der Bürger zu üben.

Insofern wirkt sowohl das Schweigen von 611 Bundestagsabgeordneten auf die Bitte um Prüfung der Forschungsgruppe G.O. Mueller, als auch die Antworte von zwei Bundestagsabgeordneten der Fraktion DIE LINKE befremdlich:

Zitat Jörn Wunderlich:

Allerdings fehlen mir Kompetenz und Ressourcen, mich seriös zu diesem Sachverhalt zu äußern. Bitte haben Sie Verständnis dafür, wenn ich das Material unseren Fachpolitikern in der Fraktion übergeben habe.

Von den Fachpolitikern der Fraktion haben wir allerdings nichts gehört.

Zitat Katja Kipping:

Leider habe ich nun wenig Einblick in das von Ihnen angesprochene physikalische Themengebiet sowie die Hintergründe der Eskalation – obgleich ich die Freiheit der Wissenschaft befürworte-, so dass Sie sicher verstehen, dass ich dazu keine Stellungnahme abgeben möchte.

Immerhin bestätigt Frau Kipping, dass sie die Freiheit der Wissenschaft befürwortet und dass sie eine Eskalation festgestellt hat. Von einer verantwortungsvollen Handlung ist jedoch auch hier keine Spur.

Dabei reicht die Anfrage eines einzigen Bundestagsabgeordneten der Opposition um eine offizielle Untersuchung über ein verdächtiges Sachverhalt vom größeren Umfang einzuleiten, das ist doch ein normales Instrument in Rechtsstaaten, oder?

Das Schweigen und die Passivität der Bundestagsabgeordneten könnten sich mit den Überlegungen der Forschungsgruppe G.O. Mueller in seinem Kapitel 9 erklären lassen:

Die von Frau Schavan veranlaßte Antwort ist unter mehreren Gesichtspunkten bemerkenswert. Durch ihre Doppelfunktion als Abgeordnete und als Ministerin sind damit die Legislative und die Exekutive als informiert dokumentiert. Die Tatsache, daß ihre Antwort erst rund 10 Monate nach Empfang unseres “Offenen Briefes” und erst nach Rückfrage von Frau Lopez erfolgte, läßt das Schweigen der anderen Bundestagsabgeordneten vielleicht in einem anderen Licht erscheinen, wenn man annehmen will, daß möglicherweise unter den 614 Abgeordneten und ihren Fraktionen eine Absprache darüber stattgefunden hat, daß die Ministerin über ihr Ministerium die Beantwortung für alle übernimmt.

Die Bundestagsabgeordnete Dr. Annette Schavan ist jedoch ihrer Verantwortung als Bundesministerin für Bildung und Forschung nicht nachgegangen, weil der von ihr beauftragte Mitarbeiter zwar das Gehalt weggeschleppt, jedoch die Verantwortung liegen gelassen hat, siehe Die Verantwortung des Herrn Prof. Dr. Jürgen Richter.

 (Jocelyne Lopez)