Blog – Jocelyne Lopez

Dietmar Odilo Paul: Dunkle Physik

Ich komme auf meinen vorherigen Eintrag Einsteins sprachliche und gedankliche Verwirrungen über die Definition Einsteins der „Relativität der Gleichzeitigkeit“ zurück und verweise auf Ausführungen des Philosophen Dietmar Odilo Paul über diese Thematik in der Seite seiner Homepage Dunkle Physik:

[…] Da unternimmt etwa der Einstein etwas ganz Wunderliches: Mit Hilfe einer besonderen Formel bringt er den Raum und die Zeit und die Schwere in ein Verhältnis zur Geschwindigkeit, dem Quotienten der beiden ersteren, was zur Folge hat, daß uns eine Elle nicht mehr eine Elle, eine Stunde nicht mehr eine Stunde, ein Pfund nicht mehr ein Pfund bleibt bei demjenigen, der sich in der Welt fortbewegt und je schneller die Bewegung, desto weniger. Vornehmlich soll für uns Ruhende die Uhr des Eilenden langsamer schlagen, sein Leib kürzer und dabei zugleich schwerer werden. Der Eilende selbst aber soll dabei denken, er sei in Ruhe und wir würden uns stattdessen gegen ihn bewegen, und also müßte, in seinen Augen, unsere Uhr langsamer gehen, unser Leib kürzer und schwerer werden. Eine größere Verwirrung konnte ein menschlicher Geist für den menschlichen Geist nicht aussinnen – und doch geschah es in der vermeintlichen Absicht, Erkenntnis über die Natur zu gewinnen.
[…]
Zunächst will er uns auf seine Abenteuer einstimmen und versucht, mit einem wahrhaft naiven Trick, (der allenfalls noch zu entschuldigen ist unter der Annahme, daß er ihn selbst nicht durchschaut), glaubhaft zu machen, daß, schon aufgrund der uns zur Verfügung stehenden Meß- und Vergleichsmöglichkeiten, jeder seine eigene Zeit mit sich herumtrage. Sein zu diesem Zwecke aufgestelltes, berühmtes und allseits von den Physikern übernommenes Beispiel mit dem ruhenden Beobachter am Bahnsteig, dem fahrenden Beobachter im Zug und den beiden Blitzen, deren Einschlagen die Beobachter unterschiedlich wahrnehmen, ist aber allein schon Beweis genug, daß logisches Denkvermögen nicht mit dem erwählten Berufsstande erworben wird. Logisches Denkvermögen finden wir bei Künstlern und Bauern, Psychologen und Hausfrauen nicht seltener als bei Physikern und Mathematikern und bei ihnen, entgegen der landläufigen Meinung, ebenso häufig eine eklatante Unterentwicklung desselben. Es ist auch keineswegs so, daß nur diejenigen, die von Natur logisches Denkvermögen mitbringen, an Physik und Mathematik ihre Freude fänden und also ein solches Fach zum Berufe wählten, denn man kann sich auch in diesen Fächern sehr wohl mit leichter Auffassung, einem guten Gedächtnis und, wie überall, mit Übung helfen. Was dann am Ende Ruhm und Ansehen verschafft, hängt ohnehin mehr an der Beredsamkeit, mit welcher einer seine Sache in das günstigste Licht zu stellen weiß.

Damit wollte ich allerdings nicht sagen, logisches Denkvermögen sei Voraussetzung für bedeutende geistige Leistungen, ja ich würde fast vermuten, daß die größeren Leistungen auf ganz anderen Fähigkeiten beruhen. Aber im vorliegenden Falle will Einstein ja gerade mit logischer Beweisführung seinen Ideen Gewicht verschaffen, und da ist freilich peinlich, wenn’s mit der Logik kränkelt.

Um die Verkehrtheit seines hypothetischen Experimentes mit der Eisenbahn und den Blitzen auch für den Laien noch deutlicher zu machen, sei mir erlaubt, die Szene auf einen anderen Schauplatz zu verlegen: Dort soll sich, genau in der Mitte zwischen zwei in einiger Entfernung stattfindenden Schlachten, der Feldherr befinden. Von beiden Heeren des Feldherrn soll nun zur gleichen Zeit ein Bote zu ihm abgehen, um den Sieg über die Feinde zu vermelden. Weil sie gleich lange Wege und gleich gute Pferde haben, werden sie also auch gleichzeitig eintreffen und ihre gute Nachricht überbringen, und der Feldherr, der dies alles weiß, kann wiederum zurecht daraus schließen, beide Schlachten seien zur selben Zeit gewonnen worden. Nun dieselbe Szene abgewandelt: Wäre der Feldherr ungeduldiger, und würde er, zum Zeitpunkt, da die Boten an ihn abgehen, selbst in Richtung des einen Heeres aufbrechen, dann würde der Bote, dem er entgegengeht, früher seine Nachricht überbringen können, der andere aber, dem er gewissermaßen vorauseilt, später. (Der physikalisch kundige Leser erkennt im abwartenden Feldherrn Einsteins Beobachter am Bahnsteig, im aufbrechenden Feldherrn den Beobachter im fahrenden Zug und in den Boten die Lichtstrahlen der eingeschlagenen Blitze wieder (Einsteins Relativität der Gleichzeitigkeit)).

Soweit ist auch alles noch in der Regel. Aber nun folgt das Husarenstück Einsteins, der nämlich, auf unsere Szene übertragen, behauptet: Der ungeduldige Feldherr, der die eine Siegesbotschaft früher erhält als die andere, muß daraus schließen, daß der eine Sieg auch wirklich früher stattgefunden habe! Und weil dem so wäre, müßten wiederum wir schließen, daß es verschiedene Gleichzeitigkeiten und überhaupt verschiedene Zeiten gäbe, je nach dem sich einer gegenüber einem Ereignis bewege oder stille stehe.

Das heißt aber doch, daß Einstein den bleibenden Feldherrn für einen klugen Mann hält, der aus dem gleichzeitigen Eintreffen der Boten, ihren gleichschnellen Pferden und der gleichen Entfernung zu den Schlachtfeldern vernünftig schließt, die Siege seien gleichzeitig errungen worden. Den ungeduldigen Feldherrn hingegen macht er zum Trottel, aber nicht wegen dessen Ungeduld, was ja gewissermaßen verständlich wäre, sondern indem er ihn, ohne jegliche Prüfung der Umstände, glauben läßt, derjenige Sieg, der ihm zuerst gemeldet wird, habe auch als erster stattgefunden – fast so, als müsse für jeden das Weltgeschehen in der Reihenfolge ablaufen, in der er es am andern Morgen in der Zeitung liest.

Einstein will uns weismachen, ob einer fahre oder stehe komme physikalisch auf dasselbe heraus, denn bei gleichförmiger Bewegung könne ja der Fahrende durch Messungen gar nicht feststellen, ob er selbst nicht vielleicht stehe und dafür die Welt an ihm vorüberzöge. Das mag nun, bei aller Abstrusität des Gedankenganges, wenigstens rein logisch nicht verkehrt sein. Daß aber sein fahrender Beobachter zu einer anderen Einschätzung der Gleichzeitigkeit von Ereignissen kommt, hat nicht damit zu tun, daß er fährt, sondern nur, daß Einstein ihn entweder zum besagten Trottel macht, oder aber ihm vortäuscht, er befinde sich, relativ zu den Ereignissen, im selben Falle wie der ruhende Beobachter: Der ruhende Beobachter ruht im Verhältnis zu den Ereignissen, und die Entfernung zu denselben bleibt also konstant. Seinem fahrenden Beobachter suggeriert Einstein, wie man annehmen muß, dasselbe, nämlich er ruhe im Verhältnis zu den Ereignissen, und die Entfernung zu denselben bliebe ebenfalls konstant – aber dem ist in Wahrheit nicht so, denn der fahrende Beobachter nähert sich ja selbst dem einen Schauplatz und wird den von dort abgegangenen Boten notwendigerweise früher empfangen, vom andern Schauplatz aber entfernt er sich, wird vom dort abgegangenen Boten also erst später eingeholt. Wüßte Einsteins fahrender Beobachter um seine Bewegung – wie sein ruhender um seine Ruhe weiß -, so könnte er leicht diese mit in sein Kalkül nehmen und käme, hinsichtlich der Gleichzeitigkeit besagter Ereignisse, zum selben Ergebnis wie der Ruhende. Täte er dies nicht, dann wäre er ebenfalls ein Trottel, und so bleibt uns nur der Ausweg, daß er von Einstein, vielleicht wider besseres Wissen, betrogen wird.

Auf solche Weise läßt sich also die ersehnte „Relativität der Gleichzeitigkeit“ und die für jeden anders verstreichende Zeit nicht hervorzaubern. Aber aus solch plumpen Irrtümern nährt sich die Relativitätstheorie, und der heutige Leser wird mich schon deswegen für unglaubwürdig halten, weil er selbst nicht glauben kann, daß von Einstein, dem intelligentesten Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts, zusamt den zahllosen intelligenten Physikern, die seitdem seine Theorie verteidigen, ein solch offensichtlicher Denkfehler nicht bemerkt worden wäre. Glaube mir, lieber Leser, auch ich stehe einigermaßen fassungslos vor der allerdings unbestreitbaren Tatsache, daß die selben Männer, die in der technischen Physik während der letzten hundert Jahre wahrhafte Wunderwerke vollbrachten, sich gleichzeitig mit derartig fadenscheinigen und falschen Begründungen zum Aberglauben an die Relativitätstheorie haben überreden lassen. Aber es ist ein Beweis mehr, daß weder Intelligenz, noch Zivilisation, weder Aufklärung, Rationalität oder Atheismus vor offensichtlichstem Aberglauben bewahrt – und finde ich nicht, wenn ich mich selbst seziere, überall Überzeugungen, von deren Wahrheit ich nicht das geringste Urteil haben kann?

Doch eigentlich hat dieses an Verkehrtheit kaum zu übertreffende Beispiel mit der Relativitätstheorie überhaupt nichts zu schaffen, und ich verstehe selbst nicht, warum es dort angeführt ist. Ich kann mir nur vorstellen, daß Einstein diesen fehlenden Zusammenhang selbst gar nicht bemerkt und es nur hingeschrieben hat, weil es ihm gerade geeignet schien, den Verstand des Lesers aufzuweichen für sein eigentliches Anliegen. Er mag sich gedacht haben: „Wenn der Leser erst einmal geschluckt hat, daß es schon bei fahrenden Zügen zu Verschiebungen der Zeit kommt, so wird er sicher gefügig sein, wenn ich später solche Verschiebungen von Zeit und Raum benutze, um das Rätsel der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zu lösen.“ Denn auf seine Idee, jeder habe seine eigene Zeit, seinen Raum und sein Gewicht, nach dem Maße wie er sich relativ zu anderen bewege, kam er nicht wegen des Unsinns aus dem obigen Beispiel, sondern weil er sich durch andere Physiker von einer ebenso gravierenden Ungereimtheit hatte überzeugen lassen, nämlich von der immer gleichbleibenden Geschwindigkeit des Lichts, welche, unabhängig von jeglicher Bewegung, sowohl der Lichtquelle als auch des Beobachters, gemäß einem Naturgesetze festgeschrieben sei (Zur Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts). Aus der grotesken Lage, in welche diese ebenso verquere wie den menschlichen Verstand schwindelnd machende Behauptung geführt hatte, glaubte Einstein einen genialen Ausweg gefunden zu haben, eben durch seine Idee, die Konsistenz der Zeit und des Raumes künftighin für aufgehoben zu erklären – und an diesen „genialen Ausweg“ glaubt heute noch die Mehrzahl derjenigen Physiker, die sich entweder unter vielem Schweiß den Verstand für das Unfaßliche der Relativitätstheorie weichgeknetet, oder mit gutem Gedächtnis die Formeln und Sätze gelernt haben. Daß sie allesamt in hundert Jahren weder bemerkt haben, daß ihr vielgerühmtes Beispiel mit dem Bahndamm und dem Zug ein bloßer Denkfehler ist, noch daß es mit ihrer Theorie (vom bloßen Wortgeklingel „Relativität der Gleichzeitigkeit“ abgesehen) nicht das mindeste zu schaffen hat, ist ein weiteres Indiz für die Art und Weise wie in diesen Kreisen „gedacht“ wird. […]

(Dietmar Odilo Paul)