8. Oktober 2008
Peter Ripota: Das Gartenzaun-Paradoxon
Stellen wir uns einen ganz gewöhnlichen Gartenzaun vor. Naja, nicht ganz gewöhnlich. Er soll unendlich lang sein, doch wem das zu lang ist, der kann ihn in Gedanken einfach nur „beliebig lang“ machen. In der Praxis macht das keinen Unterschied. Seine Latten sollen 10 cm breit sein, die Zwischenräume etwas größer, sagen wir 15 cm. Nun besorgen wir uns noch eine Kugel von 10 cm Durchmesser. Sie passt also gut durch die Zwischenräume. Und wenn wir uns vor den Zaun stellen, können wir ohne Probleme die Kugel durch irgendeinen Zwischenraum auf die andere Seite des Zauns werfen.
Entlang dem Zaun, ziemlich dicht an ihm dran, verlaufen Gleise, die so lang sind wie der Zaun. Auf ihnen verkehrt der Einstein-Express, ein Zug der besonderen Art. Er wurde von Albert Einstein zur Illustration seiner Ideen erdacht. Das Besondere an ihm: Er kommt in seiner Geschwindigkeit nahe an die des Lichts heran. Das sieht so aus:
Der Einstein-Zug: Wie man sieht, passt die Kugel genau durch den Zwischenraum.
Wir steigen in den Zug und fahren langsam los. Immer noch können wir unsere Kugel problemlos durch die Lücken des Zauns werfen; wir müssen nur den Ablenkwinkel durch die Eigengeschwindigkeit berücksichtigen. Der aber wird, wie es so schön heißt, „vernachlässigbar klein„, wenn wir den Zug sehr nahe am Zaun vorbeifahren lassen.
Und jetzt geben wir Gas und beschleunigen auf eine Geschwindigkeit, die der Lichtgeschwindigkeit nahe kommt. Und siehe da: nun können wir die Kugel nicht mehr auf die andere Seite des Zaunes werfen, denn gemäß der Längenkontraktion der Speziellen Relativitätstheorie zieht sich der Zaun – und damit auch sein Zwischenraum – zusammen: Die Kugel passt nicht mehr durch.
Das ist an sich noch nicht verwunderlich, denn wir können nicht erwarten, dass unter extremen Verhältnissen die gleichen Bedingungen herrschen wie im Alltag. Doch jetzt machen wir etwas ganz Einfaches: Wir wechseln den Standpunkt. Statt mitzufahren hocken wir jetzt hinter dem Zaun und drücken dem Schaffner des Einstein-Zuges die Kugel in die Hand, mit der Auflage, sie bei hoher Geschwindigkeit durch den Zaun zu werfen. Und das geht ohne weiteres: Denn nach dem Einsteinschen Relativitätsprinzip erleben wir hinter dem Zaun das gleiche wie vorhin im Zug: Der Zug und alles, was in ihm mitfährt, schrumpft in Längsrichtung zusammen. Die Kugel wird also dünner und passt nun problemlos durch die Lücken des Zauns.
Der Einstein-Zug bei hoher Geschwindigkeit, vom Zaun aus gesehen, also vom ruhenden Betrachter. Durch die Längen-Kontraktion erscheint der vorbei flitzende Zug gestaucht, und die Kugel passt weiterhin gut durch den Zaun
(relativistische Effekte in rot)
Der Einstein-Zug bei hoher Geschwindigkeit, vom Zug aus gesehen. Durch die Längen-Kontraktion erscheint der vorbei flitzende Zaun gestaucht – die Kugel passt nicht mehr durch, obwohl sich an der physikalischen Situation nichts geändert hat! Dennoch ermöglicht der Wechsel des Betrachters, was vorher unmöglich war
(relativistische Effekte in rot).
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Was ist da geschehen? Das Wechseln des Standpunkts macht etwas möglich, was vorher unmöglich war. Aber, ist das Ganze vielleicht nur Illusion? Dann muss auch, aus Symmetriegründen, das Zwillingsparadoxon Illusion sein, und wir brauchen uns um beides keine Gedanken machen. Mit anderen Worten: Wären die Effekte nur scheinbar, wäre auch die Relativitätstheorie überflüssig, denn Physik beschäftigt sich mit Sein, nicht mit Schein.
Dazu kommt, dass es bis jetzt kein einziges Experiment gibt, welches die Längen-kontraktion beweist, nicht einmal ein Gedankenexperiment – wohl aber eines, das sie widerlegt. Doch das nur nebenbei.
Um das Wunderbare – oder Absurde – der Situation ganz deutlich zu machen, stellen Sie sich folgendes vor: Sie hocken ganz friedlich am Tresen Ihrer Lieblingsbar, und plötzlich kommt so ein Kerl daher und macht Stunk. Er provoziert Sie, wie auch immer. Doch Sie lassen sich nicht einschüchtern und behaupten kühn, Sie könnten ihn mit dem kleinen Finger Ihrer linken Hand in die Luft heben. Er lacht sich kaputt, aber Sie sagen, Sie müssten nur „den Standpunkt wechseln„. Sie gehen also ein halbes Mal um ihn herum, setzen sich noch eine Brille auf (möglichst eine in rosa) – und schwupp, schon ist der Kerl so leicht, dass Sie ihn ohne weiteres mit dem kleinen Finger hochheben können.
Ein Wunder? In der Tat! Warum nur hat Einstein seinem Fantasiegebilde einen so langweiligen Namen gegeben und dieses nicht einfach „Physik der Wunder“ getauft?
(Peter Ripota)
[…] komme zurück auf das Gartenzaun-Paradoxon von Peter Ripota in diesem Blog. Dieses Paradoxon lässt sich nur lösen, wenn die […]
[…] einmal falsch„ sagen zum Beispiel Georg Galeckzi und Peter Marquardt, oder zum Beispiel auch Peter Ripota: „Mit anderen Worten: Wären die Effekte nur scheinbar, wäre auch die Relativitätstheorie […]
[…] hatte auch zum Beispiel Peter Ripota in seinem Gartenzaunparadoxon […]