Blog – Jocelyne Lopez

G.O. Mueller: Was haben Antisemitismus, Nationalsozialismus und Völkermord mit Physik zu tun?

Neben meinen Blog-Einträgen G.O. Mueller: Die besondere Strategie: der verleumderische Antisemitismus-Vorwurf und Eine absurde und vor allem äußerst perfide Strategie verweise ich auf eine weitere Thematisierung der Problematik Antisemitismus in der Geschichte der Kritik der Relativitätstheorie durch die Forschungsgruppe G.O. Mueller, aus ihrer Dokumentation Über die Absolute Größe der Speziellen Relativitätstheorie – Juni 2004 – Seite 40:

In den bisher nachgewiesenen und ausgewerteten theoriekritischen Arbeiten, also Stellungnahmen und Abhandlungen mit physikalischen oder erkenntnis-
theoretischen Argumentationen, sind bis zum Jahr 1919 keine antisemitischen Äußerungen enthalten. Die frühesten uns bekannt gewordenen Fälle datieren aus den Jahren 1920 (Rudolf Mewes) und 1921 (Theodor Fritsch, unter Pseudonym Roderich-Stoltheim) und haben nach Umfang und Bedeutung keinen großen Einfluß ausüben können, weil sie aus persönlicher Zurücksetzung (Mewes) oder sektiererischer Einstellung (Fritsch) motiviert waren.

Die erste bedeutende physikalische Abhandlung mit antisemitischen Äußerungen stammt mit einer Datierung vom Juli 1922:

LENARD, PHILIPP: Über Äther und Uräther. 2., vermehrte Auflage, mit einem Mahnwort an deutsche Naturforscher. Leipzig: Hirzel 1922. 66 S.
[…]
Insgesamt war die Anzahl von physikalisch argumentierenden Kritikern, die zusätzlich antisemitische Tiraden einflochten, außerordentlich gering. Nach dem bisherigen Stand der Auswertung, der sich selbstverständlich mit fortschreitender Bearbeitung erhöhen wird, sind folgende Fälle aktenkundig, nach Erscheinungsjahren aufgeführt:

1920: Mewes, Rudolf
1921: Fritsch, Theodor (unter Pseudonym Roderich-Stoltheim)
1922: Lenard, Philipp; Stark, Johannes; Zboril, J.
1923: Fritsch, Theodor (unter Pseudonym Roderich-Stoltheim)
1931: Hentschel, Willibald
1936: Thüring, Bruno
1937: Dingler, Hugo; Thüring, Bruno
1938: Finke, Edmund; Tobien, Waldemar
1940: Arthos [Pseudonym, Italien]; Thüring, Bruno
1941: May, Eduard
1942: Brühlmann, Otto; Teichmann, Horst; Vahlen, Theodor
1944: Uller, Karl

Aus rund 3790 kritischen Veröffentlichungen sind bisher als antisemitisch ermittelt worden:

– 16 Autoren, davon 15 deutsche;
– insgesamt 19 Veröffentlichungen, davon 18 deutsche;
– nur Arbeiten aus den Jahren 1920-1944.

Wer zu den Relativitätstheorien weitere kritische Veröffentlichungen mit antisemitischem Einschlag kennt, möge Roß und Reiter nennen. Wir werden alle theoriekritischen Veröffentlichungen nachweisen, unabhängig von anderen Inhalten.

29 Veröffentlichungen wären 1 Prozent der Gesamtmenge: bisher liegt die Zahl der ermittelten Fälle noch darunter. Mit einer dramatischen Erhöhung des Prozentsatzes ist nicht zu rechnen, da erfahrungsgemäß ungehemmt rassistisch hetzende Veröffentlichungen sich nicht mit physikalischen Argumentationen aufhalten und damit aus dem Erfassungshorizont der vorliegenden Dokumentation herausfallen. (Auch die bloße Aussage, man sei gegen die Relativitätstheorie oder halte sie für falsch, ist noch keine Argumentation und fällt deshalb heraus.) Selbst wenn 2 – 3 Prozent aller theoriekritischen Arbeiten antisemitisch sein sollten, wäre dies ein außerordentlich bemerkenswert positives Ergebnis, weil es den Antisemitismus in der Physik wahrscheinlich als weitgehend deutsches Phänomen in einem nur sehr begrenzten Zeitraum und von erstaunlich geringem Umfang erweist. In eklatantem Widerspruch zu dieser Tatsache möchten die Relativisten gern verleumderisch den Eindruck erwecken, die meiste Kritik sei nur antisemitisch motiviert.

Auch bei Betrachtung nur der deutschsprachigen Veröffentlichungen aus dem Zeitraum 1920-1944 mit insgesamt ca. 570 Dokumenten stellen die bisher nachgewiesenen 18 antisemitisch gefärbten Arbeiten nur rund 3 Prozent dar, was angesichts der Politik während der nationalsozialistischen Herrschaft nur erstaunen kann. Sollte die weitere Auswertung diese Zahl deutlich erhöhen, wäre es kein Wunder.

Bei weiterer Einschränkung auf die insgesamt 85 deutschsprachigen Arbeiten unter der nationalsozialistischen Herrschaft 1933-1944 wären die für diese Jahre bisher festgestellten ganzen 11 Fälle von antisemitischer Färbung geradezu ein Wunder, bei dem es wohl nicht bleiben wird. Trotzdem sieht es nicht nach einer dramatischen Erhöhung dieser Fälle aus: die weit überwiegende Mehrzahl der kritischen Veröffentlichungen hat sich erwiesenermaßen auch unter den Nazis frei von antisemitischer Hetze gehalten.

Diese Befunde unserer bisherigen Auswertung der Dokumentation haben eine große Bedeutung für die Abwehr einer pauschalen Verleumdung, mit der die Relativisten generell mit Vorliebe und in Deutschland auch mit großem Erfolg arbeiten, nämlich der pauschalen Verleumdung der Kritiker als Antisemiten.

(G.O. Mueller)



Comments

  1. September 29th, 2008 | 18:25

    […] G.O. Mueller: Was haben Antisemitismus, Nationalsozialismus und Völkermord mit Physik zu tun? […]

  2. November 19th, 2008 | 19:23

    […] In diesem Zusammenhang verweise ich auf das Sammelwerk der Forschungsgruppe G.O. Mueller, das in ihrer Dokumentation von Juni 2004 weltweit 3789 kritische Arbeiten von ca. 1300 Autoren über eine Zeitspanne von 95 Jahren dokumentiert, sowie auch auf Ausführungen aus dieser Dokumentation in diesem Blog: Die besondere Strategie: der verleumderische Antisemitismus-Vorwurf und Was haben Antisemitismus, Nationalsozialismus und Völkermord mit Physik zu tun? […]

  3. Februar 9th, 2010 | 10:59

    […] Ach Chief, egal welche Wortwahl, egal welche Persönlichkeit, egal welcher Autor, egal welcher Lebenslauf, egal welche Art, es ist alles egal: Die Einstein-Jünger verwandeln in Null komma Nichts alles was einen Hauch von Kritik oder Hinterfragung der Relativitätstheorie von sich gibt in Antisemitismus, Rassismus und Nazismus, nicht nur GOM, weit verfehlt. Darauf braucht man also gar keine Rücksicht zu nehmen, das kommt automatisch, das ist ja die Strategie der Relativisten seit 100 Jahren, siehe zum Beispiel hier und hier. […]

  4. August 18th, 2010 | 10:59

    […] G.O. Mueller: Was haben Antisemitismus, Nationalsozialismus und Völkermord mit Physik zu tun?   […]

  5. Mai 24th, 2011 | 06:44

    […] Was haben Antisemitismus, Nationalsozialismus und Völkermord mit Physik zu tun? […]

  6. Februar 25th, 2012 | 09:40

    […] Das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und Geschichtsfälschung Die besondere Strategie der verleumderische Antisemitismusvorwurf Was haben Antisemitismus, Nationalsozialismus und Völkermord mit Physik zu tun […]